Der transsilvanische Blutsauger verspricht alles, was auf den ersten Blick zu einem gelungenen Vampir-Dasein dazugehört: Blut, Tod, Angst und Schrecken. Doch ist die Dracula in der musikalischen Komödie Leipzig wirklich so gruselig, wie man es von älteren Verfilmungen oder gar der Romanvorlage gewohnt ist? Und: schafft es die Inszenierung, die Filme vom Mythos her zu übertreffen?
Dracula in der musikalischen Komödie Leipzig – ein Untoter auf der Suche nach unsterblicher Liebe
Ich fiebere der Vorstellung in der musikalischen Komödie sehr entgegen und kann deren Beginn kaum erwarten. Zahlreiche junge Besucher mischen sich, wie mir auffällt, ins Publikum, dem natürlich auch einige Stammbesucher beiwohnen. Ob dies wohl mit der Magie Draculas zusammenhängt? Immerhin verbindet jeder mit dem Namen des Blutsaugers eine bestimmte Art der schwarzschaurigen Vampir-Romantik.
Bereits der Vorstellungsbeginn ist imposant, beeindruckend und versprüht Unheilvolles, wie man es von Dracula gewohnt ist: Dunkle Gewitterwolken ziehen herauf, das Orchester spielt sich, umgeben von Donnergrollen und Blitzen, die Seele aus dem Leib. Auf der Leinwand flimmert die gruselige Vorgeschichte des unbestrittenen Herren der Untoten auf, die das Musical einleitet: seine tragische Lebensgeschichte, seine große Liebe Elisabeth, die er vor mehr als 400 Jahren verloren hat, und darüber hinaus seine Abkehr vom (christlichen) Glauben und sein Hass gegen das Kreuz.
Ein wenig Verständnis bringe ich für den berühmtesten aller Blutsauger in dem Moment auf. Aber nur ein wenig. Andreas Wolfram tritt als Dracula himself mit einer faszinierenden Präsenz auf, die einem auch mal länger den Atem anhalten lässt. Ganz in schwarz gekleidet, mit kahlem Kopf und fürstlichem Gewand, empfängt er einen Gast in seinem Anwesen in Transsilvanien. Der weit gereiste Gast, Jonathan alias Jeffrey Krüger, wird nicht so recht empfangen, wie er es erwartet: Geschäftliches verschlägt ihn auf das triste Anwesen, dass ihm bald schon wie ein Gefängnis vorkommt.
Andreas Wolfram agiert hier als Dracula mit klarem, aber auch melodischen Ton, aus dem die Sehnsucht nach seiner einstigen Geliebten spricht. Die beiden Männer könnten nicht gegensätzlicher sein, und doch verbindet sie in diesen Tagen die Sehnsucht nach Liebe. Jonathan, der mir ein wenig blass erscheint, reist bald darauf ins viktorianische London zurück, doch der Herr der Untoten hat seine Verlobte auf einem Bild gesehen und sieht nun seine unsterblich geliebte Elisabeth vor sich. So beginnt Draculas Reise ins weit entfernte elisabethanische London, in dem sich die junge Mina (Lisa Habermann) bald in einem zerreißenden Konflikt zwischen Richtig und Falsch, Leben und Tod, und vor allem der Liebe befindet.
Der Vampir der alten Schule: Dracula in der musikalischen Komödie Leipzig
Die gesamte Vorstellung lässt mich staunen, ich komme kaum zu Atem, da einfach alles rund und stimmig ist: Die Kulisse kann mit den berühmten Verfilmungen mithalten und verströmt das Dracula-typische Gruselflair. Jede Szene trägt Unheil in die Luft, und ich habe das Gefühl, dass die beklemmende Hoffnungslosigkeit von der ersten bis zur letzten Minute anhält. Doch nicht nur die Stimmung ist fast mit den Händen zu greifen, auch die Requisiten und Kostüme passen wunderbar in die dafür vorgesehene Zeit.
Sei es Draculas Bett im Barock-Stil, die Gewandungen der flinken Hausherren und – Damen oder der etwas klischeebehaftete Totenschädel auf der Gruft. Jedes Detail ist an seinem Platz, der Vorstellung mangelt es an nichts. Diese wunderbare Stimmigkeit zieht sich außerdem durch die gesamte handlung – ich bin vom ersten Augenblick an gefesselt, als Jonathan auf Draculas Anwesen gelangt und die Ereignisse ihren Lauf nehmen.
Neben der düsteren Handlung gibt es auch kleine, scheinbar unwichtige Glanzpunkte, die mir ein Lächeln ins Gesicht zaubern: beispielsweise die Szene zur Auswahl eines geeigneten Bräutigams für Mina´s Freundin Lucy (Anna Preckeler), die mit Witz, Charme und beeindruckenden Tanzeinlagen daherkommt. Nach der Vorstellung kann ich sagen, dass jede Figur eine spezielle Art von Anziehung ausgeübt hat: sei es Mina mit ihrer glasklaren Stimme, die mich in jeder Sekunde berührt hat, der gewiefte Van Hellsing in der Besetzung von Fabian Egli, der einem manchmal wie ein Bekannter von nebenan vorkommt, aber auch Sabine Töpfer als schizophrener Renfield fesselte mich mit ihrem ausdrucksstarken Spiel und ist für mich die vielleicht leidenschaftlichste Akteurin der Inszenierung.
Insgesamt haben sich die Darsteller für mich gut auf die Geschichte eingelassen: es gibt eine ausgewogene Mischung aus Unterhaltung und Horror-sowie Gruselelementen. Das Ende des zweieinhalbstündigen Spektakels sorgte nicht nur bei mir für Staunen, Begeisterung und Atemlosigkeit, denn es ist so gar nicht das, was man von einem kaltblütigen Vampir erwartet. Dracula ist somit für mich in Gestalt von Andreas Wolfram so lebendig wie nie zuvor – und beinahe auch ein bisschen menschlich.
Bildnachweis: Oper Leipzig © Tom Schulze