Ein umarmender Reim ist vielen noch aus dem Deutschunterricht bekannt. Doch was genau kennzeichnet ihn und wie kann ein angehender Lyriker nach dem vorgegebenen Reimschema dichten? Hier sind die Antworten.
Inhaltsverzeichnis: Das erwartet Sie in diesem Artikel
Umarmender Reim: Definition und Beispiele
In der Welt der Gedichte gibt es verschiedene Reimformen. Einer davon ist der umarmende Reim. Auch ohne genaue Lyrikkenntnisse lässt sich allein aus dem Namen ableiten, was es damit auf sich hat. Es geht, vereinfacht gesagt, darum, dass ein umarmender Reim einen Teil der Strophe umfasst. Das Gedicht muss daher Strophen mit mindestens vier Zeilen haben. Diese Reimart umschließt die mittleren Verszeilen, die erste und die letzte Verszeile reimen sich. Die umschlossenen Verszeilen reimen sich in der Regel ebenfalls.
Das Reimschema
Das Reimschema bei einem solchen Reim wird mit „abba“ abgekürzt, wobei jeder Buchstabe für eine Verszeile steht. Das heißt, dass bei einem vierzeiligen Vers die erste und die letzte sowie die zweite und die dritte Verszeile reimend gedichtet wurden. Dabei muss in einem Gedicht nicht immer durchgängig diesem Reimschema gefolgt werden. Möglicherweise wird in einigen Versen auf den Paarreim oder auf einen Kreuzreim ausgewichen.
Bei einem Paarreim lautet das Reimschema „aabb“, bei einem Kreuzreim hingegen „abab“. Es liegt in der Hand des Dichters, sein Gedicht mit dem jeweils passenden Reimschema auszustatten, allerdings findet sich in der Praxis kaum ein Wechseln zwischen mehreren, sondern meist nur zwischen zwei Reimschemen.
Beispiele für einen umarmenden Reim
Die drei folgenden Beispiele zeigen sehr schön, wie die Reimart als geschlossene Einheit fungiert:
Georg Trakl: Im Winter
Der Acker leuchtet weiß und kalt.
Der Himmel ist einsam und ungeheuer.
Dohlen kreisen über dem Weiher
Und Jäger steigen nieder vom Wald.
Ein Schweigen in schwarzen Wipfeln wohnt.
Ein Feuerschein huscht aus den Hütten.
Bisweilen schellt sehr fern ein Schlitten
Und langsam steigt der graue Mond.
Joseph von Eichendorff: Adler
Steig nur, Sonne,
Auf die Höhn!
Schauer wehn,
Und die Erde bebt vor Wonne.
Kühn nach oben
Greift aus Nacht
Waldespracht,
Noch von Träumen kühl durchwoben.
Heinrich Heine: Im tollen Wahn hatt‘ ich dich einst verlassen
Im tollen Wahn hatt‘ ich dich einst verlassen,
Ich wollte gehn die ganze Welt zu Ende,
Und wollte sehn ob ich die Liebe fände,
Um liebevoll die Liebe zu umfassen.
Die Liebe suchte ich auf allen Gassen,
Vor jeder Türe streckt‘ ich aus die Hände,
Und bettelte um gringe Liebesspende, –
Doch lachend gab man mir nur kaltes Hassen.
Die Wirkung
Das Reimschema mag nicht festgeschrieben sein, dennoch darf damit nicht achtlos hantiert werden. Ein bunter Mix ist beim Reimen tunlichst zu vermeiden! Das Gedicht verliert an Wirkung, wenn es keinem Muster mehr folgt. Vergleichsweise häufig wird ein umarmender mit einem paarigen Reim kombiniert. Diese beiden bilden einen sogenannten Schweifreim.
Sehr schön erkennbar ist dieser an dem Gedicht „Abendlied“ von Matthias Claudius:
Der Mond ist aufgegangen,
die goldnen Sternlein prangen
am Himmel hell und klar;
der Wald steht schwarz und schweiget,
und aus den Wiesen steiget
der weiße Nebel wunderbar.
Die ersten beiden Zeilen sind bei diesem Gedicht ein Paarreim, die vier folgenden Verszeilen hingegen stellen einen umarmenden Reim dar. Liegt diese Kombination in ein und derselben Strophe vor, sprechen Experten von einem Schweifreim.
Ein genauer Blick auf die Wirkung
Ein umarmender Reim wird meist sehr bewusst verwendet, er entsteht nicht einfach überraschend beim Reimen der Verse. Das heißt, dass der Dichter seine Worte sehr genau gewählt hat, was wiederum bei der Analyse und Interpretation des Gedichts berücksichtigt werden muss. Hier ist nichts zufällig!
Bei der Gedichtanalyse und -interpretation ist daher die Wirkung der Reimart zu berücksichtigen:
- Ein Reimpaar wird durch Verszeilen eingeschlossen. Das eingeschlossene Verszeilenpaar ist damit geschützt, liegt verborgen und kann als versteckt gesehen werden. Diese Eigenschaft kann bei der Interpretation hilfreich sein.
- Der Reim wirkt teilweise überraschend, da die erste Zeile keinen Reimpartner in der zweiten Verszeile findet. Eine Auflösung dieser Überraschung findet sich dann in der vierten Zeile.
- Der äußere Reim kann die inneren Verszeilen abschotten, aber auch als Überthema gesehen werden. Die inneren Verszeilen sind dann das Unterthema dazu. Dies ist vergleichbar mit einem Buch, das in Kapitel und Unterkapitel unterteilt ist.
Ein umarmender Reim kann somit als eigenständige Sinneinheit gesehen werden, stellt eine Abgrenzung zum übrigen Gedicht bzw. zu den einzelnen Verszeilen dar. Die erste Zeile kann Hinweise darauf geben, worum es in dem Gedicht gehen wird. Das Thema wird also direkt angesprochen. In den folgenden beiden Zeilen wird das Thema in einem Detail vertieft oder es werden mehrere solcher Details angesprochen.
Die letzte Verszeile führt wieder zum Hauptthema zurück oder bietet eine Art Abschlusssatz. Dabei ist es oft überraschend, dass an letzter Stelle das Reimwort für die erste Verszeile kommt. An dieser Stelle hat der Leser vielleicht schon gar nicht mehr damit gerechnet.
Bei der Gedichtinterpretation ist der umarmende Reim von großer Bedeutung.
Ein eindrucksvolles Beispiel für die bewusste Anwendung dieser Reimart ist im Gedicht „Die Gefangenen I“ von Georg Heym zu finden.
Sie trampeln um den Hof im engen Kreis.
Ihr Blick schweift hin und her im kahlen Raum.
Er sucht nach einem Feld, nach einem Baum,
Und prallt zurück von kahler Mauern Weiß.
Georg Heym stellt in diesem Gedicht dar, wie sich die Gefangenschaft zeigt, dass die Insassen des Gefängnisses von den Mauern eingeschlossen sind. Die äußeren beiden Verszeilen beschreiben den Gefängnishof mit seiner Enge und den hohen Mauern. Die inneren beiden Zeilen gehen auf die Gefühle des Gefangenen ein, der nicht in die Weite blicken kann und nur kahle Trostlosigkeit erblickt.
Zusammenfassung: Umarmender Reim als Stilmittel in der Lyrik
Ein umarmender Reim wird im Reimschema „abba“ verfasst, das heißt, dass sich die erste und die vierte sowie die zweite und die dritte Zeile des Gedichts reimen. Diese Reimart bietet einige Überraschungen und kann als Teilung des Gedichts in ein Ober- und ein Unterthema gesehen werden. Dabei vertieft das Unterthema das in der ersten Zeile angesprochene Oberthema.